Le Rhin – die Rheinreise von Victor Hugo
2019 brannte in Paris die Kathedrale Notre Dame. Jeder hat die spektakulären Fernseh-Bilder vor Augen. Die Katastrophe brachte den Franzosen Victor Hugo, ihren große Dichter und Denker wieder näher.
1831 hatte er mit seinem historischen Roman »Der Glöckner von Notre Dame« im klassizistischen Frankreich für ein gotisches Revival gesorgt. Die Wertschätzung der Kathedrale als nationales Symbol ist ihm zu verdanken. Es gilt als ein Hauptwerk der französischen Romantik.
Weniger bekannt ist, dass Victor Hugo zehn Jahre später mit »Le Rhin« ein ebenso monumentales Oeuvre über seine Reise an den Rhein vorlegte. Selbst in Frankreich, das den Dichter bis heute wie einen Säulenheiligen der Nation verehrt, ist das dreibändige Werk kaum bekannt. Aus aktuellem Anlass wollen wir die Erinnerung an diesen großen Europäer auferstehen lassen, indem wir ihm nachreisen.
Zur eigenen Lektüre empfehlen wir die illustrierte Ausgabe des Insel Verlags:
Der Rhein, Victor Hugo, Berlin 2010, gebunden, 108 Seiten, ISBN: 978–3458193289.
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Kurzportrait
Victor Hugo (1802 – 1885) hat als Dichter, Intellektueller, Rebell im Exil und Politiker der Republik das vorletzte Jahrhundert in Frankreich geprägt wie kein zweiter. Er scheute kaum einen Konflikt und legte sich mit Kaiser Napoleon III. an. Seine Zeitgenossen rieben sich an seiner Person. Es gibt unzählige, nicht nur schmeichelhafte Karikaturen aus allen Lebensphasen über ihn.
Mehrere Museen bewahren sein Andenken als Maisons Victor Hugo – darunter das ehemalige Wohnhaus an der Place des Vosges in Paris, sein Landhaus im Exil auf der englischen Kanalinsel Guernsey und sein Geburtshaus in Besançon. Sein eigentliches Denkmal bildet das umfangreiche schriftstellerische Werk.
Wenig bekannt ist, dass Victor Hugo tausende von Reiseskizzen und lavierten Federzeichnungen hinterlassen hat. Für ihn war das ein Beiwerk zur schriftstellerischen Arbeit. Es machte ihm Spaß, sich mit dem Federkiel nicht nur schreibend, sondern mit der rückseitigen Federfahne auch malend auszudrücken. Zweifellos war er dafür begabt, aber seine Technik des „schreibenden Malens“ brachte ihm erst viel später den Ruf eines Früh-Modernen ein, eines „Abstrakten vor der abstrakten Malerei“. Den Impressionisten war sein gegenstandsloses Werk der Tusch-Lavuren bekannt.
So sind seine Abbildungen zur Rheinreise zum Einen ganz und gar realistische Bleistiftzeichnungen im Reiseskizzenbuch, aber eben auch frei assoziierende Stimmungen, in denen er der fließenden Tusche ihren Lauf ließ und in die Klekse hinein zeichnete, bis sich Burgen, Städte, Flusslandschaften daraus entwickelten. So beschreibt das sein Enkel, der seinen Großvater bei Zeichnen beobachtete.
Für die Urban Sketchers liegt hier ein möglicher Zugang, sich mit dem Skizzenbuch auf seine Reise an den Rhein einzulassen.
Zeichnungen und abstrakte Kompositionen
Die Rheinreise
Ein Bild sagt mehr als viele Worte:
Jedermann kennt den Rhein, aber was wissen wir von ihm? Und warum ist das Obere Mittelrheintal heute Weltkulturerbe? Warum begeistert und erregt der Fluss im 19. Jahrhundert so sehr Dichter und Denker und war Grund für Kriege zwischen Frankreich und Deutschland?
Victor Hugo ist vielleicht der am meisten politische und visionäre Rhein-Reisende. Als er an den Fluss kommt, nehmen politische Spannung bedrohlich zu. Es droht ein Krieg um das linke Rheinufer, das Frankreich beansprucht. Deutschland bezieht die „Wacht am Rhein“. Tonlage, Lieder und Gedichte werden auf beiden Seiten militant nationalistisch.
In dieser „Rheinkrise“ nimmt Victor Hugo Stellung in einer persönlich-vermittelnden Geste für ein einiges Europa. In diesem Geist entsteht »Le Rhin«.
… entre tous les fleuves, j´aime le Rhin. … C´est un noble fleuve, féodal, républicain, impérial, digne d´être à la fois francais et allemand. Il y a toute l´histoire de l´Europe consideérée sous ses deux grands aspects, dans ce fleuve des guerriers et des penseurs, dans cette vague superbe qui fait bondir la France, dans ce murmure pro-fond, qui fait rêver l´Allemagne. Le Rhin réu-nit tout.
… unter allen Flüssen liebe ich den Rhein. … Er ist ein edler Fluss, feudal und republikanisch, kaiserlich und würdig, französisch und deutsch zugleich. Die ganze europäische Geschichte, von diesen beiden großen Standpunkten aus betrachtet, spiegelt sich in diesem Fluss der Krieger und der Denker, in dieser herrlichen Woge, die den französischen Geist erregt, in diesem geheim nisvollen Gemurmel, das Deutsch-land träumen lässt. Der Rhein vereinigt alles in sich. …
Le Rhin 1842 – Lettre XIV
Die Briefe
Victor Hugo schreibt auf seiner Rheinreise 39 fiktive Briefe, die als stilistisches Gliederungsmittel von »Le Rhin« zu sehen sind. Die Briefe XIII (Andernach) bis XXVIII (Heidelberg) sind Grundlage und Anlass der Sketchwalks und Zeichentreffen der Victor Hugo Urban Sketch Voyage.
Lettre XIII – Andernach
Brief 13 – Andernach
Anreise mit dem Dampfschiff aus Köln und Besichtigung der ehedem reichen, verfallenen alten Stadt und ihrer Baumonumente (eine Zeichnung), dem Verladehafen für Eifeler Tuff- und Basaltstein; der Dichter wandert flußaufwärts bis Weißenturm zum Grabmonument des napoleonischen Generals Hoche, den Victor Hugo verehrt.
→ Einführung zu Brief 13 (PDF)
Sketchwalk am 19. Juni 2021 in Andernach
→ Sketchwalk Information Andernach (PDF)
Lettre XIV – Le Rhin
Brief 14 – Der Rhein
»… von allen Flüssen liebe ich den Rhein«: Historischer Exkurs zu Völkern, die am Rhein gelebt haben; Sagen und Mythen des Rheins: Rheintöchter, Drachen und Teufel, Bischof Hatto und der Mäuseturm; Herrscher und Herrschaften, rivalisierende Kurfürsten, Ritter, Krieger, Bürger und freie Reichsstädte; Könige und Kaiser bis Napoleon.
Lettre XV – La Souris
Brief 15 – Die Maus
Anreise mit dem Dampfschiff von Andernach nach Wellmich; Besteigen des Burgbergs zur Maus (siehe Reiseskizzen); Sage vom bösen Ritter Falkenstein und dem unheimlichen Glockenschlag aus dem Burgbrunnen; Beschreibung der Ruine im Inneren als wild-verfallenes Gemäuer, von der Natur zurück erobert, des Turm, von Getier und Gespenstern belebt.
→ Einführung zu Brief 15 (PDF)
Sketchwalk am 10. Juli 2021 in Wellmich
→ Sketchwalk Information Burg Maus (PDF)
Lettre XVI – A Travers Champs
Brief 16 – Querfeldein
Abendliche Wanderung nach Sankt Goar; wild-romantische melancholische Landschaftsbeschreibung; Übersetzen vom nassauischen zum preußischen Ufer.
Lettre XVII – Saint Goar
Brief 17 – Sankt Goar
Spektakulärer Rundblick aus dem Hotelfenster von Burg Maus zur Burg Katz über Sankt Goarshausen (siehe Zeichnung) und zur Festung Rheinfels über Sankt Goar (siehe Bleistiftskizzen); Aufstieg zur ruinösen Burg Katz (siehe Zeichnungen), von dort Beschreibung der Rheinstrudel am Bank Felsen bis zur Loreley mit ihrem siebenfachen Echo; Besichtigung der Festung Rheinfels, ihrer unterirdischen Säle, Wehrgänge und Schießscharten, von Victor Hugos Landsleuten in die Luft gesprengt; Fußweg entlang des Rheins zur gotischen Stadt Oberwesel (siehe flüchtige Skizze), Beschreibung des imposanten Stadtbildes mit zwei mächtigen Kirchen, der Schönburg, vielen Türmen und langer Stadtmauer zum Rhein.
Dieser Sketchwalk sollte ursprünglich im Rahmen des Workshop Wochenendes vom 10. bis 13. Juni 2021 stattfinden. Der Termin musste coronabedingt leider abgesagt werden.
Lettre XVIII – Bacharach
Brief 18 – Bacharach
Inbegriff der Rheinromantik: Feenstadt der Sagen und Legenden in wilder Landschaft, von den modernen Zeiten übersehen; Türmchen, Wetterfahnen, Fachwerk (siehe Zeichnung), Häuser wie Kommoden auf der Stadtmauer (siehe Skizzen); die Kirche Sankt Peter (siehe Skizze) und Aufstieg zur Wernerkapelle (Zeichnung aus dem Posthof); Burgruine Stahleck (siehe Skizze): »… abgesehen von Malern mit dem Ränzlein auf dem Rücken ist kein Mensch da …«
Dieser Sketchwalk sollte ursprünglich im Rahmen des Workshop Wochenendes vom 10. bis 13. Juni 2021 stattfinden. Der Termin musste coronabedingt leider abgesagt werden.
Lettre XIX – Feuer! Feuer! (Lorch)
Brief 19 – Brand eines Hauses in Lorch
Renaissancepalais Hilchenhaus; Wispertal der Märchen und Fabeln; Der Nachtwächter beschließt den Tag; nachts beschreibt Victor Hugo vom Hotel aus den dramatischen Brand eines benachbarten Fachwerkhauses:
»… Jedem Fachwerkhaus wohnt eine Feuersbrunst inne und es gibt gar viele Häuser aus Holz«.
→ Einführung zu Brief 19 (PDF)
Sketchwalk am 11. Juli 2021 in Lorch
→ Sketchwalk Information Lorch (PDF)
Lettre XX – De Lorch à Bingen
Brief 20 – von Lorch nach Bingen und Mäuseturm
Überqueren des Rheins; Darstellung einer fiktiven wild-romantischen Landschaft mit Ruinen und Gräbern; Rheindiebach und Burg Fürstenberg (siehe Zeichnung); Niederheimbach und Burg Sooneck; Clemenskapelle, Trechtingshausen und Burg Reichenstein, Burg Rheinstein; abendliche Ankunft am Mäuseturm: Maus = Maut; Victor Hugos Kindheitserinnerung: Die Legende vom bösen Bischof Hatto, von Mäusen gefressen; ausführliche Beschreibung einer schaurig-unheimlichen Szenerie.
→ Einführung zu Brief 20 (PDF)
Fahrrad-Sketchwalk am 14. August 2021
→ Informationen zum Sketchwalk (PDF)
Lettre XXI – Sagen und Legenden
Brief 21 – Sagen und Legenden
Das Märchen vom schönen Pécopin und der schönen Bathilde: Victor Hugo erfindet als Autor eine Legende.
Lettre XXII – Bingen
Brief 22 – Bingen
Vom preußischen Adler zum hessischen Löwen: Währungsumrechnung von Thaler und Pfenning in Gulden und Kreuzer; Mittelalterliche Stadt an der Nahe (Grenzfluss zwischen Preußen und Rheinhessen) mit römischer Drususbrücke (siehe Tuschezeichnung), das Binger Loch beim Mäuseturm; Rüdesheim und die Öffnung zum Rheingau; Niederwald und Burg Ehrenfels; Exkurs in das Nahetal bis zum Disibodenberg: Der Geist der Hildegard von Bingen; erlebte Abenteuer in Bingen.
→ Einführung zu Brief 22 (PDF)
Sketchwalk am 8. August 2021
→ Sketchwalk Information Bingen (PDF)
Lettre XXIII – Mayence
Brief 23 – Mainz
Victor Hugo vergleicht die beiden Bischofsstädten Mainz und Köln sowie der Kaiserstadt Frankfurt. Die alte Reichstadt besucht er am Main entlang mit der Eisenbahn. Mainz sieht er im provinziellen Niedergang, seit es nicht mehr französisch ist, sondern zu Rheinhessen gehört. Nach seiner Einschätzung verkommt die Stadt unter preußisch-österreichischer Fremdherrschaft. Ausführlich behandelt er den Dom (siehe Skizze).
→ Einführung zu Brief 23 – 1 (PDF)
→ Einführung zu Brief 23 – 2 (PDF)
Sketchwalk am 10. September (abends)
u.a. Dom und Ruine St. Christoph
→ Sketchwalk Information Mainz 1 – Schablonen (PDF)
Sketchwalk am 18. September (tagsüber)
vom Victor-Hugo-Ufer zur Zitadelle
→ Sketchwalk Information Mainz 2 (PDF)
Lettre XXIV – Francfort-sur-le-Mein
Brief 24 – Frankfurt
Ein Samstag in Frankfurt; Stadt der Karyatiden, bildhafte Beschreibung der Hauskonsolen als Lastenträger (siehe Zeichnung); ausführliche Beschreibung des jüdischen Viertels: »Die Judengasse ist keine Gasse. Sie ist eine Stadt in der Stadt«. Beschreibung der Frankfurter Schlachthalle (dazu: Karikatur von VH in Pariser Satirezeitschrift: impressions de voyage d´un grand poète); Besuch des Römer mit ausführlicher Beschreibung des Kaisersaals; Aufstieg auf den Domturm, Blick von oben auf die Stadt.
Lettre XXV – Der Rhein
Brief 25 – Der Rhein
Gesamtbetrachtung des Stroms und seiner Kulturlandschaften an beiden Ufern; besonders ergriffen ist Victor Hugo vom Mittelrhein; beschreibt Schifffahrt und Flößerei; er vollzieht seine Reise bis hierher nach und schließt mit einer Hymne an die Rheinburgen: »Oh edle Burgen! Oh arme gelähmte Riesen! Oh beschimpfte Ritter! Ein Dampfschiff voll Kaufleute und Bürger qualmt Euch im Vorüberfahren seinen Rauch ins Gesicht!«
→ Einführung zu Brief 25 (PDF)
Zeichen-Schifffahrt auf dem Rhein am 16. Oktober 2021
→ Informationen zur Zeichen-Schifffahrt (PDF)
→ Blogbeitrag zur Schifffahrt (folgt)
Lettre XXVI – Worms – Mannheim
Brief 26 – Worms – Mannheim
Mit dem Dampfschiff aus Mainz kommend legt Victor Hugo weitab bei einer Schleife des damals noch nicht regulierten Stroms an und bewegt sich zu Fuß über mehrere Rheinarme auf die Stadt zu. Er beschreibt ein herunter gekommenes, ehedem ehrwürdiges Worms, immer noch gezeichnet von den Verwüstungen durch seine Landsleute unter Ludwig XIV. Er sieht eine Stadt im Verfall, die nach der Katastrophe von der Natur zurück erobert wird. Er setzt das verwunschene Worms kontrastreich gegen das damals aufstrebende, moderne Mannheim.
Sketchwalk am 3. Oktober 2021
→ Sketchwalk Information Worms (PDF)
Lettre XXVII – Speyer
Brief 27 – Speyer
Victor Hugo blickt bei der Weiterreise Neckar aufwärts in seinem kurzen Brief XXVII auf Speyer zurück. Darin stehen der romanische Dom und dessen Kaisergräber im Zentrum geschichts-philosophischer Betrachtung: Verwüstet von der Armee Ludwigs XIV bezichtigt der Autor seine sehr von sich und ihrer Zivilisation eingenommenen Landsleute der Barbarei.
→ Einführung zu Brief 27 (PDF)
Sketchwalk am 2. Oktober 2021
→ Sketchwalk Information Speyer (PDF)
Lettre XXVIII – Heidelberg
Brief 28 – Heidelberg
folgt
Lettre XXIX – Straßburg
Brief 29 – Straßburg
folgt ggf.
1840 – Victor Hugo besucht den Rhein erneut
Wie 1838 und 1839 reist er nicht allein von Paris ab. Er unternimmt diese Rheinreise wiederum mit seiner Geliebten, der Schauspielerin Juliette Drouet – die in seinen Texten niemals vorkommt. Darin ist er allein als ein Suchender unterwegs. Allerdings adressiert er von unterwegs insgesamt 39 fiktive Briefe »an einen Freund«, die in dieser Form nicht abgeschickt wurden und als stilistisches Gliederungsmittel des dreibändigen Werks zu sehen sind.
So setzen sich seine Reisestationen aus drei Rheinreisen zusammen. Sie lassen sich nach diesen Briefen von I (Paris) bis XXXIX (Lausanne) überschaubaren Textpassagen zuordnen, die die Schilderung gut lesbar machen. Insbesondere am Mittelrhein fertigt Victor Hugo viele Reiseskizzen an. Einige dieser genau lokalisierbaren Zeichnungen in Bleistift entstanden im Skizzenbuch vor Ort, andere als lavierte Federzeichnungen in Tusche abends im Hotel. Seine Geliebte Juliette ist nicht nur Reisebegleiterin. Als Lektorin redigiert sie seine Texte, fertigt Kopien an und transkribiert die Textfragmente als seine Privatsekretärin in Reinschriften.
Ein Genre von imaginierten, abstrakt-freien Tuschezeichnungen runden das Oeuvre ab mit Motiven, die frei assoziierend Landschaften und Ortsbilder am Rhein vorgeben, aber keine spezifischen Orte darstellen. Sie entstehen zum Teil erst später in Paris. Besonders diese Bilder beflügeln die Phantasie des Betrachters und tragen zur romantisch-märchenhaften Verklärung des Rheins in Victor Hugos Texten bei.
Er selbst maß seiner zeichnerischen Produktion eher untergeordnete Bedeutung zu. Die erste Ausgabe des Werks von 1842 war nicht illustriert. Erst spätere Ausgaben enthalten Stahlstiche nach seinen Federzeichnungen, die die Herausgeber nicht immer korrekt den Texten zuordneten. Sie beinhalten auch Motive, die auf der späteren Rhein- und Moselreise 1864 entstanden sind.
Unsere Rheinreise 2.0 der Urban Sketchers umgreift die Briefe XIII (Andernach) im Band I bis XXVIII (Heidelberg) im Band II.